Mit der „6R“ genannten Methode von Bhante Vimalaramsi werden Ablenkungen in der Meditation in 6 Schritten erkannt und aufgelöst. Dadurch wird nicht nur der Geist beruhigt, sondern man stärkt damit auch die Achtsamkeit – – Grundbedingung dafür, dass wir die Ablenkungen überhaupt bemerken.
Hier nochmal die 6 Schritte:
- registrieren, dass wir das Meditationsobjekt verloren haben („recognize“)
- den sich gerade dahindenkenden Gedanken loslassen („release“)
- Anspannungen lösen („relax“)
- freuen, dass man die Ablenkung erkannt und ausgebremst hat („re-smile“)
- zum Meditationsobjekt zurückgekehren („return“)
- sich vornehmen, bei der nächsten Ablenkung wieder so handeln („repeat“)
„Recognize“, das Thema dieses Posts, scheint zunächst einmal gar kein bewusster Schritt zu sein. Wenn ich realisiere, dass ich abgedriftet bin, ist zumindest ein Teil von mir in diesem Moment bereits nicht mehr in der Story, in die ich mich eingesponnen habe. Eben noch war ich in Gedanken, und plötzlich wache ich neben den Gedanken auf. Dazwischen ist kein Schritt, sondern ein Schnitt, ein Perspektivenwechsel, wie in einem Film. Ein aktives Erkennen benötigt es dazu nicht.
Wir können den Schritt aber trotzdem aktiv gestalten. Bhante Vimalaramsi weist zwar zurecht darauf hin, dass der Inhalt der Gedanken in dieser Situation keine Rolle spielt, sondern dass es vielmehr auf die Struktur und den Mechanismus der Ablenkung ankommt. Inhalte haben aber regelmäßig Einfluss auf die Struktur: Gedanken nehmen uns auf unterschiedliche Art und Weise auf die Reise mit. Um sich als psychophysisches Phänomen besser zu verstehen, gilt es, den Inhalt der Gedanken zu identifizieren, ohne sich mit ihnen zu identifizieren.
In einigen Meditationssystemen wird diese neutrale Einstellung den Gedanken gegenüber erzielt, indem die aufkommende Gedanken „etikettiert“ werden. Viele Gedanken drehen sich beispielsweise um Dinge, die wir besser hätten machen können. Das Etikett könnte in diesem Fall „blöd gelaufen“ sein, oder „vorbei“, oder „Reue“, oder „Ärger“. Vielleicht zerbrechen wir uns auch den Kopf über Dinge, die vor uns liegen. Dann passen vielleicht Etiketten wie „Planung“ oder „Angst“. Mit diesem in der englischsprachigen Literatur „Noting“ genannten Verfahren benenne ich etwas, was scheinbar „ich“ bin (weil beispielsweise Reue empfinde, oder Angst), was andererseits aber eben nicht „ich“ sein kann – – denn ich bin der Etikettierer, nicht das Etikett.
Noting benötigt etwas Übung, bis man sich nicht mehr durch die Suche nach dem richtigen Etikett verzettelt und eine gute Geschwindigkeit für sich gefunden hat. Aber selbst wenn einem das Noting locker von der Hand geht, hebt es dennoch ganz generell das Energieniveau an. Das ist zwar oft ein gewünschter Nebeneffekt, insbesondere wenn man müde und ausgelaugt ist, oder wenn der Geist sich irgendwie stumpf anfühlt. Durch die zusätzliche Energie steht das Noting aber eigentlich der Beruhigung des Geistes entgegen.
Um das Noting trotzdem für den „recognize“ Schritt verwenden zu können, kann man das Etikett indirekter gestalten. Es langt, sich dem bloßen Echo der ablenkenden Gedanken zu öffnen, ganz ohne Worte und zusätzliche Gedanken. Solche Echos können beispielsweise Schutzhaltungen sein, die sich im Körper durch die Gedanken gebildet haben.1)s. Teil 3. Die Gedanken klingen außerdem nicht nur im Körper nach, sondern gewissermaßen auch durch die Zeit hindurch. In einer Meditationssitzung drängen sich nämlich oft auch immer wieder die gleichen Gedanken in den Vordergrund. Ich muss einen solchen Gedanken dann nicht mehr benennen, sondern als Etikett langt das gefühlte Vertrautsein mit dem Themenkreis, dem dieser Gedanke entspringt.
In einer Meditation hat man dann nach einer Weile ein Gemisch aus vielen ähnlichen Echos gehört. Ein solcher Mix spiegelt als eine Art „Geruch“ wider, welche Arten von Ablenkungen im Moment am stärksten ausgeprägt sind. Diese Struktur lässt sich quasi aus dem Augenwinkel wahrnehmen, ohne dass die Aufmerksamkeit dazu fokussiert werden muss. Dadurch kann ich mich in meinem Gewahrsein so ausrichten, dass ich störende Gedanken immer früher erkenne und sie irgendwann sogar schon in ihrem Entstehen spüre – – also bevor sie sich mit mir auf die Reise machen.
Je bewusster ich etikettiere, ein desto besserer Resonanzraum werde ich für diese Echos und mentalen Gerüche. Ich stelle aber immer wieder fest, dass ich gleichzeitig anfälliger für eine neue Art von Ablenkungen werde. Rücke ich nämlich das Etikett in den Fokus meiner Aufmerksamkeit, dann verdränge ich damit das Meditationsobjekt, auf dem ich eigentlich ruhen sollte. Dies wiederum schafft Platz für hartnäckige „Meta-Gedanken“: Eben geht es noch darum, was gerade in der Meditation passiert, was gut oder schlecht läuft, und plötzlich tagträumt man sich in das Bild von sich als gutem Meditierer, der konzentriert die „6R“ anwendet… Hier gilt es also, ehrlich mit sich zu sein: Meditiere ich, oder tue ich nur so?
Der Körper in seinen gefühlten Räumlichkeit hilft, diese Frage zu beantworten und den Weg in die Meditation zurückzufinden. Darum soll es im 3. Teil gehen.
Literaturverweise [ + ]