Eine Reise knapp 50 Sekunden lang. 20 Meter unter die Meeresoberfläche
…mit nur einem Atemzug…
das ist Freediving.
Es möchte immer noch nicht in meinen Kopf. Ich liege im Wasser, mache mein Breath-Up (eine Serie aus vorbereitenden Atemübungen) und schaue dabei mit einer speziellen Low-Volume Tauchermaske unter die Wasseroberfläche. Erst gestern habe ich innerhalb von 30 Minuten eine Atemtechnik beigebracht bekommen, die es mir ermöglichen soll gleich 20 Meter tief in den Ozean zu tauchen. Was so schon unfassbar klingt bekommt einen ganz anderen Geschmack wenn ich im Wasser liege und dem Seil, das in die Tiefe führt, mit den Augen folge. Irgendwo bei 10 Metern verliert es sich im immer dunkler werdendem Blau des Meeres. „Da soll ich gleich runter?“ – der zweifelnde Gedanke lässt sich nicht verleugnen.
Dann der letzte Atemzug. Ich bin leicht angespannt, auch wenn ich es versuche nicht zu sein. Die ersten Sekunden sind die technisch anspruchsvollsten. Beim sog. Duck-Dive nehme ich einen letzten tiefen Atemzug, nehme den Schnorchel aus dem Mund und die Hände nach vorne. Dann folgen zwei Kicks mit den Flossen, ich beuge meinen Oberkörper um 90 Grad und hebe ein Bein in die Luft. Das Gewicht des Beins drückt mich nach unten. Jetzt das Seil greifen und gleichzeitig den Druckausgleich nicht vergessen. Bei der Geschwindigkeit mit der ich mich jetzt in die Tiefe begebe muss ich ungefähr alle zwei Flossenschläge einen Druckausgleich machen, sonst droht mir ein Loch im Trommelfell.
Kaum bin ich einigermaßen in einen Rhythmus gekommen meldet sich mein Kopf zu Wort: „Hey, das da ist die falsche Richtung. Da oben ist die Luft. Da unten ist keine. Dreh um und geh nach oben“. Ich kenne die Stimme von meinen Tauchgängen vom Vortag und weiß, dass sie deutlich vor einer kritischen Tiefe einsetzt. Trotzdem fange ich an zu hoffen, dass es nicht mehr allzu weit ist. Aber anhand der Farbe des mich umgebenden Wasser weiß ich: Es ist noch ein ganzes Stück. Der Druck dort unten wird etwa alle 10 Meter um 1 Bar höher. Auf 20 Metern ist er 3mal höher als an der Wasseroberfläche. Bei gleichbleibender Luft in meiner Lunge bedeutet dies, dass das Volumen meiner Lunge auf ein 1/3 abnimmt. Daher kommt vermutlich das einengende Gefühl.
Dann ist es geschafft. Ich erreiche die Gewichte am Ende der Leine. Unter normalen Umständen wäre ich schon längst umgedreht, aber so beuge ich nur leicht meinen Kopf. Mein Körper folgt ohne eine unnötige Muskelbewegung und ich richte mich Richtung Wasseroberfläche aus. Ich verweile noch einen kurzen Moment hier unten. Das Wasser beginnt hier merklich in ein Tiefblau überzugehen. Es fühlt sich an wie am Rande einer anderen Welt zu sein. Es ist ein Gefühl von Zeit- und Raumlosigkeit, das an diesem Ort mitten im riesigen Ozean in mir aufkommt. Ich schiele kurz nach oben, aber noch bevor ich die Wasseroberfläche sehe schaue ich wieder nach vorne. Die Panik, die aufkommen wollte kann hier tödlich sein. Sowohl auf dem Hinweg als auch auf dem Rückweg heißt es stets nach vorn an das Seil zu schauen. Keinesfalls nach oben und unten schauen. Ich realisiere immer mehr: Es ist einzig und allein das Hier und Jetzt, das mich an diesem Ort vor Panik und damit vor dem Tod bewahrt.
Ich bleibe ganz bei mir und höre nicht auf die Panikstimme, die natürlich immer noch da ist. Fast wie zum Hohn nehme ich einen Arm an das Seil und ziehe mich langsam und fast wie bei einem anmutigen Tanz nach oben. Beim nächsten Zug versuche ich sogar noch weiter mich zu entspannen und noch langsamer zu sein.
Der Druck auf meinen Brustkorb nimmt ab, gleichzeitig aber auch der Sauerstoff in meinen Lungen. Eine merkwürdige Mischung aus Entspannung und zunehmendem Atemreiz. Gerne wäre ich jetzt schon wieder ganz oben, aber es gibt keine Abkürzung über mir sind noch etliche Meter Wasser und selbst mit ein paar schnellen Schwimmzügen, die den Sauerstoff nur so verbrennen, würde ich noch eine ganze Weile brauchen um nach oben zu kommen. Also weiterhin ganz entspannt eine Hand vor die andere nehmen. Bei genügend Geistesgegenwart spüre ich nochmal in meine Beine hinein, um zu schauen, ob diese auch so entspannt wie möglich sind, denn ich brauche nur meine Arme.
Die letzten 5 Meter, wenn ich die Wasseroberfläche wieder wahrnehme, lasse ich das Seil los und lasse mich von der Luft in meinen Lungen nach oben treiben, ein sanfter Abschluss dieser Reise.
Das Auftauchen an der Wasseroberfläche ist wie eine Wiedergeburt. Auf der einen Seite eine Erleichterung wieder frische Luft zu atmen, auf der anderen Seite auch ein Schock aus der Tiefe, der Stille und der Entspannung wieder in die Welt einzutauchen in die ich gehöre. Mit all ihrem Trubel und Geräuschen.
Auf dem Rückweg zum Festland spüre ich nach. Was war das für ein Ort, an dem ich da gerade war? – War das real?
Beim Gedanken an die Tiefe überkommt mich dann ein ungewöhnlich intensives Gefühl von Frieden. – Bis ich realisiere: Das Gefühl von Frieden ist nicht dort unten im Ozean, es ist in mir! Die Reise in den Ozean hat mir lediglich geholfen es zu finden.
Vielen Dank an das Team von Apnea Total für dieses unglaubliche Erlebnis!
Was für eine Erfahrung, wow! Eindrucksvoll beschrieben, großes Kino, danke!